Club Tirol zu Besuch im Wiener Atelier des architektonischen Visionärs und Querdenkers Peter Lorenz
In den langen, mit Ordnern vollgestopften Regalreihen liegen überall verteilt unterschiedlichste Entwurfsmodelle. Auf den langen Tischen stehen neben Computerbildschirmen die größeren, teils mit Plexiglas geschützten Modellarbeiten. Wie jenes des spektakulären, soeben fertiggestellten Flagshipstores des Premium-Küchengeräte-Herstellers Bora im deutschen Herford. Dessen auskragende, um 42 Grad geneigte Südfassade stellt den Blickkontakt her mit den unzähligen Autofahrern der darunter vorbeiführenden Autobahn. Ein Bauprojekt, das jüngst mit dem "Big See Architecture Award 2024" ausgezeichnet wurde.
Diesen gab's 2022 auch für den "Med-Campus" in Linz, von dem großformatige Detailfotos die Wände des Ateliers und natürlich Modelle zieren. Auf einem der Bildschirme läuft eine Slide-Show von jener Baustelle, die getrost als "Lebenswerk" des Bürochefs bezeichnet werden kann: die "Ilirija Sportcity" in Sloweniens Hauptstadt Ljubliana. Den internationalen Wettbewerb zum Um- und Ausbau eines alten Bades zum Schwimm- und Sportzentrum hat der Architekt bereits 2000/2001 gewonnen. Die Errichtung des Komplexes erfolgt jedoch - nach Bewältigung zahlreicher Widerstände und Hürden - erst jetzt, praktisch ein Vierteljahrhundert später.
"Das Schicksal vieler Architekten", sagt Peter Lorenz dazu knapp - und zeigt den Besuchern Entwürfe, die aus unterschiedlichen Gründen nie realisiert werden konnten. Wie die 2014 in einem kooperativen Verfahren als städtebaulicher Landmark mit Hochhaus erdachte Bebauung der "Verkehrswüste" Verteilerkreis Favoriten in Wien. Eine "Arbeit des Städtebauers, die mit jener eines Unfallchirurgen vergleichbar war". Galt es doch, Sehnen und Nerven des an dieser Stelle gebrochenen, völlig dem Verkehr untergeordneten Stadtraumes "wieder zusammenzunähen und seine Knochen zu stabilisieren". Wer den Verteilerkreis heute besucht, der bedauert sofort, dass die Arbeit des städtebaulichen "Unfallchirurgen" Lorenz nicht zum Zuge kam.
Dramatische Veränderungen
"Er ist ein Visionär und ein Querdenker", beschreibt Club Tirol-Vizepräsidenten Renate Danler in ihren Begrüßungsworten Peter Lorenz, den Architekten mit Tiroler Wurzeln. Selbst Club Tirol-Mitglied, hat Lorenz mit seinem Team an diesem Abend den Club in seine in einem Gründerzeithaus in der Wiener Leopoldstadt gelegenen LORENZATELIERS eingeladen. Zur "erklärenden" Führung durch die Räume samt kleinem Vortrag über das "Umdenken in Architektur und Städtebau" im extra für die Besucher gerichteten Materialien und Musterarchiv.
"Wir können nicht mehr so weiterarbeiten wie bisher", startete der mittlerweile 74-jährige Lorenz denn auch gleich in seine mit "vielen dilettantischen philosophischen Splittern" garnierte Rede. Erstmals würden jetzt für "alle Nachkriegsgenerationen" viele, vor allem ethische, gesellschaftliche Grundlagen zusammenbrechen. Es gebe kaum einen Bereich, der sich nicht dramatisch verändere, wie eben auch die Architektur. "Gott Mammon und der Neoliberalismus" überstrahle inzwischen alle anderen Religionen, der "Markt möge alles regeln", mit drastischen Folgen. Die trotz aller Bemühungen weltweit grassierende Ausbeutung der Natur bringt uns an die Grenzen unserer Überlebensfähigkeit. Das 1966 formulierte Menschenrecht auf Wohnen hat sich auch in Europa zum Spekulationsobjekt verwandelt - Österreich und besonders Wien stehen aber vergleichsweise gut da. Ähnlich wie im Bekleidungs- und Lebensmittelbereich gäbe es auch im Bauwesen noch immer eine verschwenderische "Wegwerfarchitektur", die den nachhaltigen Lösungen der Klimaproblematik entgegensteht.
Vom harten Ei zum hässlichen Rührei
"Mit jedem Bau geht der Mensch eine Schuld mit der Natur ein", sagt Lorenz, die er mit guter Architektur reduzieren möchte. Die Natur als "selbstorganisierenden Organismus" am Leben zu erhalten sei für das Überleben der Menschheit entscheidend und ein grundlegendes Planungsprinzip. Ausgangspunkt aller unserer Architekturentwürfe muss der Respekt für diesen Organismus werden. Radikal postuliert sollte sich Bauen auf die "Stadt" zurückziehen und die Natur sich selbst überlassen.
Die historische Stadt habe sich bildlich gesehen vom zuerst hartgekochten Ei, mit Stadterweiterungen zum Spiegelei hin zum heutigen explodierenden Rührei entwickelt - zu landschaftsfressenden "Cityscapes", die weder Stadt, noch Natur sind und auch die österreichischen Ortskerne verkümmern lassen. Was machen wir jetzt mit diesen "Millionen an Quadratmetern von chaotischen, ungeplanten, hässlichen, versiegelten, meist als monotone Gewerbe- und Wohngebiete gewidmeten Flächen? Allein in Österreich hätten sich in den vergangenen 50 Jahren die bebauten Flächen um das 4,5-fache erhöht. Wie soll das weiter gehen und was ist zu tun? Umdenken sei notwendig, auch wenn diese Aufgabe durch große Interessen infrage gestellt wird. Österreich hat sich die "klimaneutrale Stadt" 2040 vorgenommen - davon seien wir weit entfernt. Bestehende Gewerbegebiete gehörten ordentlich geplant, urbanisiert, verdichtet, gestapelt, entsiegelt, begrünt, effizienter gestaltet, verschönert sowie mit attraktivem leistbaren Wohnraum versehen.
Ethische Verantwortung
Architekten haben, so Lorenz, generell eine ethische Verantwortung zu tragen, besonders auch in der Raumplanung und im Städtebau. Diese basiere auf einem posthumanistischen Weltbild und einer ganzheitlichen Verantwortung. Angefangen bei den diskursiven und kooperativen Verfahren, Masterplänen, ersten Detailplanungen bis hin zur Übergabe des Gebäudes. Zerstörerischen Charakter für die kreative Arbeit von Architekten, ja der gesamte Baukultur, hätten jedoch immer dominanter eingreifende gesetzliche Vorgaben, die das Bauen verteuern. Vor KI hat Lorenz keine Angst: "Wir sind dabei sie einsetzen zu lernen."
In einer funktionierenden Demokratie müssten sich die Bürger viel mehr engagieren um sie zu erhalten sowie die Fachleute und Wissenschafter nicht abgedrängt werden. Die Architekten sind als verbleibende Generalisten ganzheitlich auch für Fragen der Raumplanung, des Städtebaues und des Verkehrs zuständig - in Kooperation mit anderen Experten mit dem Ziel eines komplexen lebendigen Stadtgebildes als primäres Kriterium für das Erreichen von Klimazielen.
Schönheit
Lorenz - der 1980 sein erstes Büro in Innsbruck gegründet hat, seit 1991 seinen Hauptstandort in Wien führt und seit sechs Jahren über eine "Außenstelle" in Triest verfügt - hat noch ein Thema besonders im Auge: die Bedeutung von Schönheit in der Architektur. Diese sei im Laufe des letzten Jahrhunderts langsam entfleucht und vom puristisch ökonomischen, funktionellen Bildern wegrationalisiert worden. Die Fahrt durch das heutige Tirol - wie auch anderen Bundesländern - zeige zwar ein reiches Land - aber das "hässlichste Tirol der Baugeschichte". Das gebaute spiegelt untrüglich die Werte einer Gesellschaft. Auch wenn Lorenz sich weigert Schönheit definieren zu wollen so fordert er einen ständigen Diskurs darüber. Das könnte den "Mangel an Schönheit" überwinden, von dem Michael Köhlmeier in seiner berühmten Neujahrsrede 2017 gesprochen hat. Wir dürfen auch Tirol nicht dem "Wettbewerb der Hässlichkeiten" überlassen.
Als eigene Maxime, entstanden in einem langen Architektenleben, postuliert Lorenz für sich und sein internationales Team nicht die Entwicklung eines eigenen Stils oder die Spezialisierung auf bestimmte Bauaufgaben. Sondern die immer wieder neue Suche nach optimalen Lösungen für komplexe Aufgaben an einem einzigartigen Ort. Lorenz: "Ich bin ein Feind von Routinen." Die schwierige Aufgabe für Architekten sei, dass "wir zukunftsträchtige Visionen planen sollen, dabei aber vorausdenken müssen, wie die Realität in ein paar Jahren ausschauen könnte, während alle anderen im Jetzt und der Vergangenheit leben." Das alles müssen zudem mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln in Einklang gebracht werden.
Lorenz Bau-Verständnis zeigt sich in der langen Liste an gebauten, völlig unterschiedlichen Projekten. Wie den Filialen für die Tiroler Supermarktkette M-Preis. Oder dem Interspar-Markt mit darunter liegendem offenem Parkdeck und "auf's Dach gesetzter" Volksschule samt Spiel- und Freiflächen in der Breitenfurter Straße in Wien-Liesing (ebenfalls preisgekrönt). Oder etwa das neue Gebäude für die Innsbrucker IVB-Zentrale, die als harmonischer Kontrast einer Cortenfassade spannend zwischen die bestehenden Kirchen einfügt.
Immer wieder neu und anders zu Denken, kreative Lösungen für komplexe Bauaufgaben zu finden, neue Materialien mit alten zu kombinieren, das ist entscheidend für Lorenz Arbeiten. Damit sein "Gehirn dafür wach, aufmerksam und kreativ bleibt", hat er das ständige Reisen, das Eindrücke sammeln, zu einem seiner Lebensprinzipien gemacht. Das Ergebnis dieses ständigen "Wachhaltens" sieht man schon an Kleinigkeiten im Büro-Atelier. Um im vor sieben Jahren bezogenen Altbau die zu erneuernde Elektroinstallation nicht aufwendig und teuer unter den erhaltenswerten Böden oder in aufzustemmende Wände verlegen zu müssen, wurde kurzerhand für die Kabelführung von den Zimmerdecken offen herabhängende Aluminiumschienen, wie sie auf Baustellen verwendet werden, installiert. Schaut gut aus, war billig und ist für den Zugriff bei allfälligen Reparaturen äußerst praktisch. Genial geplant eben.
Tipp zum Entdecken aller Lorenz-Projekte (auch der Ungebauten): www.lorenzateliers.at